- Heimerziehung
- Heim|er|zie|hung, die:Erziehung von Kindern od. Jugendlichen in einem besonderen ↑ Heim (2 a), wenn eine dem Wohl des Kindes dienende Erziehung in der Familie nicht gewährleistet ist.
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Heimerziehung,im weiteren Sinn jede Erziehung in einem Heim (z. B. Internatsschule, Kinder- und Jugenddorf, Schullandheim, Erholungsheim, Ferienlager); im engeren Sinn die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe vorübergehend oder dauernd durchgeführte gemeinsame Erziehung von Kindern und Jugendlichen in einem Heim oder einer sonstigen betreuten Wohnform, wenn eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung in der Familie nicht gewährleistet ist, die Heimerziehung für seine Entwicklung geeignet sowie notwendig ist und die Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie nicht ausreicht (Erziehungshilfe, Erziehungsmaßregeln). Des Weiteren ist Heimerziehung möglich, wenn die Familie ausgefallen ist (z. B. Verwaisung) und wenn behinderte Kinder und Jugendliche die fachkundige Betreuung und Erziehung in einem heilpädagogischen Heim oder in einer nicht am Ort gelegenen Sonderschule brauchen. Sie soll durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern. Die neuere Heimerziehung i. e. S. ist durch Spezialisierung der Heime, Differenzierung ihrer Struktur (familienähnliche Kleingruppen, Wohngemeinschaften) und Öffnung nach außen gekennzeichnet, im weiteren Sinn erfolgt sie bevorzugt als Gemeinschafterziehung in den inzwischen weltweit eingerichteten Kinder- und Jugenddörfern mit familienähnlichen Strukturen, wobei demokratische Prozesse des Zusammenlebens anstelle hierarch. Ordnungen angestrebt werden.Geschichtliche Entwicklung:Im Mittelalter entstanden städtischen Findel- und Waisenhäuser, die meist an die Armenhäuser angeschlossen waren; auch Klöster, vor deren Tür immer wieder Kleinkinder abgelegt wurden, übernahmen die Aufgabe der Heimerziehung. Seit den Initiativen J. H. Pestalozzis (Waisenanstalt in Stans) und der Philanthropen sowie der Entdeckung der Bildsamkeit seh- und hörbehinderter Kinder wurde die Heimerziehung Gegenstand pädagogischen Denkens. Besonders wichtig wurden unter dem Einfluss des Pietismus die Franckeschen Stiftungen. Ende des 18. Jahrhunderts gerieten die städtischen Waisenhäuser unter heftige Kritik, ab etwa 1820 entstanden an ihrer Stelle zahlreiche »Rettungshäuser«, v. a. in kirchlicher Trägerschaft. Bei In-Kraft-Treten der ersten Zwangserziehungs-, später (1901) Fürsorgeerziehungsgesetze in Deutschland griffen die Behörden zunächst auf die bestehenden Einrichtungen der privaten Fürsorge zurück, zunehmend entstanden auch staatliche Erziehungsanstalten, Säuglingsheime und Waisenhäuser. Hospitalismus der in Heimen untergebrachten Säuglinge und Kleinkinder, Verhaltensauffälligkeiten der in Heimen aufgewachsenen Kinder und Jugendlichen brachten die Heimerziehung in Misskredit; auch heute sind die Probleme der Heimerziehung nicht behoben. Anstöße zur Erprobung neuer Formen der Erziehung von Sozialwaisen kamen u. a. von A. S. Makarenko, E. J. Flanagan, A. S. Neill, S. Bernfeld, A. Aichhorn und Curt Bondy (* 1894, ✝ 1972), der zusammen mit W. Hermanns ein Jugendgefängnis als Modell in Eisenach führte, sowie von dem Kinderdorfgedanken der Gegenwart. Statt Heimerziehung i. e. S. werden von den Ämtern heute möglichst andere Formen der Kinder- und Jugendhilfe gewählt; durch Streetwork, Jugendzentren u. a. Initiativen der offenen Jugendarbeit sind Sozialarbeiter im Vorfeld tätig. Die Heimerziehung betreffend ringt die Sozialpädagogik mit Problemen der Vermittlung moderner Strukturen an die Heimleitungen und/oder das Personal, der regionalen und sozialen Isolierung vieler Heime, der mangelhaften Kooperation zwischen stationärer und ambulanter (offener) Sozialpädagogik, der Organisation der Zuständigkeiten, dem hohen Schwierigkeitsgrad der Aufgaben (Drogenabhängigkeit und -kriminalität, schwere Verhaltensauffälligkeiten und -kriminalität) und den dafür notwendigen zusätzlichen therapeutischen und pädagogischen Qualifikationen.Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:Behinderte · Sonderpädagogik · Sonderschulen · SozialpädagogikK.-J. Kluge: Einf. in die Heimpädagogik der Gegenwart (1979);J. F. W. Kok: Grundl. moderner H. (31980);H. E. Colla: H. (1981);H. - ohne Chance?, hg. v. K.-J. Kluge u. a. (1982);H. - Lebenshilfe oder Beugehaft?, hg. v. A. H. Homes (1984);A. von Bülow: H. in der Bundesrep. Dtl. Zum Wandel der Konzepte stationärer Erziehung (1987);* * *
Heim|er|zie|hung, die: Erziehung von Waisen, körperlich u. seelisch gefährdeten, schwer erziehbaren, behinderten Kindern od. Jugendlichen in einem besonderen ↑Heim (2 a).
Universal-Lexikon. 2012.